Keine Luftnummer:
Selbst der Heckscheibenspoiler ist Windkanalerprobt.
Mit der Leistung wachsen auch Anbauteile: Dem Mercedes 190 E 2.5-16 Evolution II verleiht kein mysteriöser Zaubertrank Flügel, sondern der Hersteller selbst.
Von Ben Arnold Mein Mercedes 190 E holte aus zwei Liter Hubraum 118 PS. Ein großartiges Auto – günstig, gutmütig, genügsam – mit recht flachem Spannungsbogen. Ob als Besitzer oder Beifahrer – beinahe jeder hatte schon mal mit dem bequemen Baby-Benz zu tun. Und wird bestätigen: Aufregung kommt an Bord nur selten auf. Die meisten wissen nicht, dass es fernab aller Großserien-Gemütlichkeit einen 190er mit Thrill gab. 1990 bauten die Schwaben zu Homologationszwecken 502 ganz spezielle Exemplare auf. Deren komplizierte Bezeichnung 190 E 2.5-16 Evolution II lässt erahnen, dass Mercedes-Benz damit mehr zu bieten hatte als einen 190er mit etwas mehr Power.
Bereits der genauso selten produzierte Vorgänger Evo I begeisterte 1989 mit 195 PS und sportlicher Optik. Die im Vergleich zu seinem 40 PS stärkeren Nachfolger geradezu harmlos wirkt. Den typischen Mercedes-Fahrer muss der Anblick des Evo II geschockt haben. Zu unkonventionell, zu übertrieben kraftmeierisch kam der kleine Benz daher. Auch im 21. Jahrhundert verursacht der Mercedes noch Aufsehen. Allerdings zollt nur ein kleiner Kreis Eingeweihter dem Auto den gebührenden Respekt.
Der Rest starrt mit einer Mischung aus Häme und Furcht auf den fast obszön großen, zweifach verstellbaren Heckflügel. Arme Ignoranten – wenn die nur wüssten, dass die Anbauteile nicht dem Showeffekt dienen. Vielmehr gilt es, auch bei Tempo 250 noch sicher die Spur zu halten. Richtig gelesen: 250 km/h rennt der kleine Donnerbolzen. Natürliche Feinde hatte er damals kaum zu fürchten. In der DTM feierte der Evo II, erstarkt auf 337 PS, vor allem 1992 Erfolge in Serie.
Kein Mauerblümchen
Auch im 21. Jahrhundert verursacht dieser Mercedes noch Aufsehen.
Heutzutage bereitet es diebisches Vergnügen, mit dem 190er aktuelle E-Klassen von der linken Spur zu scheuchen. Der Fahrer selbst will kaum glauben, wie schnell er unterwegs ist. Umgibt ihn im Innenraum doch die von Mercedes gewohnte Aura bedächtiger Behaglichkeit.
Nur Details unterscheiden das Evo-Cockpit von dem eines gewöhnlichen 190ers. Ein unauffälliger Schalter links neben dem riesigen Lenkrad legt das Fahrzeug dreistufig höher oder tiefer. Auch die Sportsitze vorn und die hintere Sitzbank mit zwei ausgeformten Einzelsitzen verraten das Sportmodell. Die Instrumentierung scheint unverändert – auf den ersten Blick. Dann fällt auf, dass sich auf der Skala des Drehzahlmessers verdächtig viele Zahlen tummeln – und der rote Bereich erst bei 7700 Umdrehungen beginnt. Die Seriennummer auf dem Schaltknauf deutet auf die Exklusivität des Mercedes hin.
Leider bereitet die Benutzung des Schaltknaufs weit weniger Freude als dessen Anblick. Obwohl sich der erste Gang linksunten befindet, ist die Bezeichnung Sportgetriebe eher gewagt. Superhakelig sind die Schaltwege und viel zu lang. Ansonsten erinnert beim Fahren nichts mehr an die bräsige Behäbigkeit eines 190ers. Das Sportfahrwerk wirkt Wunder – dieses Auto kann mit ungeahnter Präzision um Kurven gezirkelt werden.
Fortschrittsglaube:
Der Kurzhub-Motor im Evo II mit 2.5 Liter Hubraum leistet 235 PS – 40 mehr als die erste Evo-Stufe. Die DTM-Rennversion hatte 337 PS.
Der kurzhubige Motor wirkt anfangs zäh und unelastisch. Er verlangt nach Drehzahl – das maximale Drehmoment steht erst bei 5000 Umdrehungen an. Und so muss ich nach der Warmlaufphase tun, was zu tun ist: reintreten. Jetzt erwacht die Maschine zum Leben, die Tachonadel eilt in Windeseile gen 200 km/h.
Der Sound prickelt allerdings erst, wenn sich – bei geöffneten Scheiben – etwas findet, das den Schall zurückwirft. So entwickelt man am Steuer rasch den Tunnelblick – immer auf der Suche nach der nächsten Röhre. Dort klingt der Vierzylinder nach Rennsport – laut, hart, metallisch. Welch Unterschied zu meinem eigenen 190er. Wenn der laut wurde, bedeutete das immer ein Problem. Dann war ein neuer Auspuff fällig.
Technische Daten:
- Vierzylinder-Reihenmotor, vorn längs
- 4 Ventile je Zylinder
- Hubraum 2463 cm3
- Leistung 173 kW (235 PS) bei 7200/min
- max. Drehmoment 245 Nm bei 5000/min
- Hinterradantrieb
- 5-Gang, manuell
- Dreieckquerlenker vorn, Raumlenkerachse hinten
- Hydropneumatische Niveauregulierung
- Scheibenbremsen, vorn innenbelüftet
- Reifen 245/40 ZR 17
- Räder 8,25 x 17
- Länge/Breite/Höhe 4530/1720/1342 mm
- Radstand 2665 mm
- Leergewicht 1340 kg
- Tankinhalt 70 Liter
- Zuladung 500 kg
- Beschleunigung 0–100 km/h in 7,1 Sekunden
- Höchstgeschwindigkeit 250 km/h
- Preis 1990 109.440 Mark